Abhängigkeit oder die Kunst, verbunden zu bleiben – ohne sich zu verlieren

,,Ein Paar geht eng umschlungen am Strand entlang - Symbol für Verbundenheit und gegenseitige Unterstützung

Manchmal merke ich, wie das Wort ,,Abhängigkeit“ in mir etwas zusammenzieht.
Es klingt nach Schwäche, nach Ohnmacht, nach einem Ich, das sich verliert.
Und doch spüre ich: In jeder echten Verbindung bin ich abhängig.
Von Resonanz.
Von Ehrlichkeit.
Von Berührbarkeit.

Vielleicht ist Abhängigkeit gar nicht das Gegenteil von Freiheit,
sondern ihr leiser Ursprung.

1. Alte Bühne – wenn Abhängigkeit Kindheitsmuster wiederholt

Abhängigkeit war für mich lange gleichbedeutend mit Angst.
Angst vor Liebesverlust.
Vor Bewertung.
Vor Rückzug.

Ich habe mich angepasst, bevor jemand etwas sagen musste.
Ich war so geübt darin, Erwartungen zu spüren,
dass ich meine eigenen Bedürfnisse kaum noch kannte.

Rückblickend war das kein Charakterfehler,
sondern eine Überlebensstrategie –
in einem System, das autoritäre Erziehung mit Beziehung verwechselte
und Gehorsamkeit mit Wohlerzogenheit.

Kinder, die fein wahrnehmen, lernen früh:
Zugehörigkeit kostet oft Selbstverleugnung.
Also geben sie sich Stück für Stück auf,
um Nähe zu behalten.

Das fühlt sich später an wie Loyalität –
ist aber oft bloß Wiederholung.

2. Bewusstheit schafft Wahlfreiheit

Mit Persönlichkeitsentwicklung kam die Entkopplung.
Ich merkte, dass ich entscheiden kann, wann ich mich anpasse –
und wann nicht.

Ich kann Bindung halten, ohne mich selbst zu verlieren.
Ich kann ich selbst sein und für mich sorgen,
ohne Liebe zu riskieren.

Früher dachte ich, Echtheit gefährdet Beziehung.
Heute erlebe ich, dass sie sie vertieft.

Wenn ich mich zeige, passiert meistens nichts Schlimmes –
außer dass ich freier atme.

Persönlichkeitsentwicklung bedeutet für mich,
diese alten Automatismen zu entlarven
und Abhängigkeit bewusst zu gestalten.

3. Abhängigkeit als Resonanzfeld

Vielleicht ist Abhängigkeit gar kein Feind der Freiheit,
sondern ihre Bedingung.

Ich bin abhängig davon,
dass Resonanz möglich ist –
dass jemand mich wirklich sieht,
nicht nur hört.

Gesunde Abhängigkeit ist keine Fessel,
sondern eine Form von Vertrauen.
Ich lasse mich berühren.
Ich darf empfangen, ohne mich zu verlieren.

In dieser Art von Abhängigkeit liegt Leben.
Weil sie Nähe erlaubt – und Wachstum.
Weil sie zeigt:
Wir sind nicht dazu gemacht, allein zu funktionieren,
sondern miteinander zu schwingen.

4. Die subtilste Abhängigkeit – die eigenen Gedanken

Vielleicht sind die stärksten Fesseln gar nicht im Außen.
Nicht Partner, Verträge oder Strukturen halten uns klein,
sondern die Geschichten, die wir über sie erzählen.

Ich kenne das auch:
Wenn ich glaube, dass ich erst frei bin,
wenn sich etwas im Außen ändert,
bleibe ich unmerklich gebunden –
an meine eigene Erwartung.

Ein Klient hat mich das auf tiefe Weise gelehrt.
Er lebte in einer Privatinsolvenz, fühlte sich machtlos und beschämt.
Doch er begann, innerhalb dieser engen Grenzen neu zu gestalten.
Er strukturierte sein Leben, suchte Sinn,
nahm Verantwortung auf eine Weise an,
die plötzlich leicht wurde.

Seine „Depression“ wich,
sein Trinkverhalten wurde steuerbar,
und er konnte Nähe zulassen –
trotz, oder vielleicht gerade wegen,
seiner alten Wunden.

Abhängigkeit verliert ihren Schrecken,
wenn sie nicht mehr über uns bestimmt,
sondern wir gestalten
und sie als verbindendes Element wahrnehmen.

Nehmen wir nur unsere Angst vor Konflikten.
Statt sie zu vermeiden,
können wir jeden Konflikt feiern –
als Lernfeld, um mehr über uns und andere zu erfahren.

Um in Verbindung gemeinsame Lösungen zu schaffen.
Oder auch, um den Raum zu haben,
sich für sich selbst zu entscheiden –
oder dem Miteinander zuliebe
die eigenen Vorstellungen zu hinterfragen.

Genauso kann es mit der Abhängigkeit sein.
Es geht um gemeinsames Gestalten.
Transparent und auf Augenhöhe.
Um Hilfe annehmen zu können,
sich gegenseitig wertzuschätzen.       Verbunden zu bleiben, ohne sich selbst zu verlieren.

Es geht darum,
sich im Kern nicht als hilflos,
sondern als selbstwirksam zu erleben.
Und das darf ich mir erlauben.

Abhängigkeit – 9. deutschsprachige Blog-Challenge auf Substack von Margot Dimi, das Wortweib🖋️

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